Die Psychologie ist der Freund eines jeden Marketers, kann man doch mit Ihr das Verhalten von potentiellen Kunden verstehen oder gar vorteilhaft beeinflussen, dies konnten wir bereits in unserem Blog-Artikel “Die psychologischen Trigger für E-Mail-Click-Throughs” ausführlich beleuchtet.

Doch gibt es ein psychologisches Phänomen, welches noch keine Erwähnung fand, jedoch recht außergewöhnlich und bemerkenswert ist. – Es handelt sich um den sogenannten “Zeigarnik-Effekt”.

In diesem kurzen Ausflug in die Weiten der Psychologie werden wir den Ursprung und die Wirkung beleuchten und natürlich die positiven Effekte im E-Mail-Marketing, die Steigerung der Engagement-Rate ist dabei nur ein Beispiel.

Bluma Zeigarnik – Die Psychologin

Bluma Zeigarnik ist die Namensgeberin und weltweite Bekanntheit erlangt sie durch die Erforschung dieses psychologischen Effektes.

Geboren wurde Bljuma Wulfowna 1901 in Prienai, Russland, heute Litauen, und bereits 1919 heiratet sie Albert Zeigarnik, dessen Namen sie annahm.

  • Ab 1920 besuchte sie für zwei Jahre die Universität von Kaunas, um dann 1922 an der Berliner Universität ihre Studien fortzusetzen und ebenfalls dort zu promovieren.
  • 1931 zog es Bluma dann wieder in die russische Heimat und an die Universität in Moskau, wo sie 1953 Professorin wird und schließlich im Jahre 1967 einen eigenen Lehrstuhl erhält.
  • Im Alter von 86 Jahren verstarb Bluma Zeigarnik schließlich 1988 in Moskau, nachdem sie ihr ganzes Leben dem Fachgebiet der Psychologie gewidmet hatte.
Bluma Zeigarnik

Die erste Entdeckung des Phänomens

Interessant sind die Umstände, wie es zu der Entdeckung dieses psychologischen Phänomens gekommen ist. Kurt Lewin, damals Professor von Bluma Zeigarnik, beobachtetet in einem Restaurant, dass sich ein Kellner gut an die Einzelheiten von noch nicht bezahlten Bestellungen erinnern konnte. Überraschenderweise stand dies jedoch im Gegensatz zu den bereits bezahlten, und damit abgeschlossen Aufträgen, denn bei diesen war es für den Kellner offensichtlich wesentlich schwieriger, sich an Details zu erinnern.

Nach der ersten Entdeckung dieses Sachverhaltes begann Bluma letztendlich eine Reihe von Experimenten zu entwerfen, um die Prozesse hinter diesem Phänomen aufzudecken, ein ausführlicher Forschungsbericht wurde letztendlich im Jahre 1927 veröffentlicht.

Die Definition – Was ist der Zeigarik-Effekt!?

Der ”Zeigarnik-Effekt” ist ein psychologisches Phänomen und betrifft konkret die Erinnerungen an Aufgaben. Demnach sind Erinnerungen an unterbrochene, unerledigte Aufgaben stärker als Erinnerungen an abgeschlossene, erledigte Aufgaben.

Dieser Befund ist aus gedächtnispsychologischer Sicht überraschend, da er auch auftritt, wenn für unterbrochene Aufgaben weniger Zeit aufgebracht wurde als für die bereits erledigten Aufgaben.

Die Ursachen des Zeigarnik-Effekts

Es gelten zwei Dinge als Ursache:

Restspannung im Gedächtnis: Wenn wir eine Tätigkeit beginnen, entsteht eine bestimmte Spannung, die das Erinnern an diese Tätigkeit erleichtert. Die Spannung wird erst abgebaut, wenn die Tätigkeit abgeschlossen ist. Wird die Tätigkeit unterbrochen, bleibt die Spannung bestehen, wodurch die Erinnerung hartnäckiger wird.

Mangelnde Erfüllung: Die Unterbrechung einer Tätigkeit verhindert das Gefühl der Vollendung und Zufriedenheit. Dieser unerfüllte Wunsch verstärkt die Erinnerung an die Tätigkeit.

Einen Wermutstropfen gibt es allerdings. Auch wenn der Effekt ausgiebig erforscht und beschrieben wurde, handelt es sich nicht um ein hundertprozentiges Phänomen, da es nicht bei allen Versuchen verlässlich repliziert werden konnte. Trotzdem hat die Mehrheit der Menschen im Alltag sehr wahrscheinlich genau diese Erfahrung gemacht, und möglicherweise auch Sie!?

Anwendung im E-Mail-Marketing für die Steigerung von Engagement und Konversionen

Es stellt sich nun die Frage, wie diese psychologische Erscheinung sinnvoll im E-Mail-Marketing genutzt werden kann und offensichtlich hat diese mit “unerfüllten Aufgaben” zu tun. Mit diesem Argument kann die “Spannung” aufrechterhalten werden, um mit deren Hilfe Öffnungsrate und Konversionsrate zu steigern.

Im Folgenden finden sich einige konkrete Beispiele, welche genutzt werden können – oder womöglich bereits in der ein oder anderen Form, unbewusst, auch in Ihren E-Mail-Kampagnen Anwendung finden.

Maßnahmen im Detail

  1. Betreffzeilen: Betreffzeilen, welche Neugier wecken oder eine Frage stellen, ohne diese sofort zu beantworten bauen beim Leser die Spannung der nicht abgeschlossen Aufgabe auf. Damit ergibt sich der Drang, mehr zu erfahren und Antworten zu finden. Ein beispielhafte Adresszeile: „Entdecken Sie das Geheimnis der Produktivitätssteigerung…“
  2. Unvollständige Geschichten: E-Mails mit unvollständigen Geschichten oder Inhalten, können den Empfänger dazu ermutigen die E-Mail zu öffnen, um das fehlende Stück zu finden. Zum Beispiel: „Teil 1 unserer exklusiven Serie: Die unglaubliche Verwandlung…“
  3. Erinnerungen an verlassene Warenkörbe: Eine begonnene aber unvollständige Bestellung ist bereits eine abgebrochene Aufgabe. Stimulieren Sie das Gehirn des potentiellen Kunden zusätzlich mit einer Erinnerungs-E-Mail, welche ihn bestenfalls dazu bewegt „zu beenden, was er begonnen hat“ und die Spannung damit abzubauen.
  4. Countdowns und zeitlich begrenzte Angebote: Ein Countdown-Timer in einer E-Mail hilft dabei ein Gefühl der Dringlichkeit zu erzeugen und darauf hinzuweisen, dass ein zeitlich begrenztes Angebot oder eine Veranstaltung bald endet. Dies baut eine Spannung beim Empfänger auf, welche damit gelöst wird, dass er handelt und bestenfalls eine Bestellung auslöst, bevor es “zu spät” ist.
  5. Status und Fortschrittskontrolle: Falls beispielsweise Kurse angeboten werden, lohnt es sich regelmäßig in separaten E-Mails über den Status bzw. den Fortschritt zu informieren, um die Abonnenten an ihre unvollständigen Aufgaben zu erinnern und sie zu ermutigen, weiterzumachen.
  6. Ungelöste Probleme: Bei ungelösten Problemen sollte man zeigen, dass man diese Spannung abbauen möchten und gehen sie proaktiv auf Kunden oder Abonnenten zu. Dies steigert zudem das Ansehen beim Kunden, da man sich um deren Anliegen kümmert und sich für eine Lösung in deren Sinne einsetzen.
  7. Mitgliedschaftsverlängerungen: Wird ein Abonnent an den bevorstehenden Ablauf seiner Mitgliedschaft erinnert, erzeugt dies durch diese offene Aufgabe ebenfalls ein Spannungsfeld und damit den Drang diesen Missstand aufzulösen.

Fazit

Wie die Beispiele zeigen, lässt sich der Zeigarnik-Effekt an vielen Stellen im E-Mail-Marketing strategisch nutzen, um das Interesse der Abonnenten wecken, ihr Engagement erhöhen und letztendlich auch die Konversionsrate steigern. Keinesfalls solltem man aber vergessen, ein gesundes Gleichgewicht zu finden. Zu schnell kann man dieses Thema auch überstrapazieren, was letztendlich zu Frustration führen kann. In Maßen angewendet, bleibt aber mit Sicherheit ein positives Nutzererlebnis erhalten, gemeinsam mit allen vorteilhaften Effekten.